Road to Ötzi – Die Ziellinie
Die rauschende Abfahrt vom Jaufenpass und der Kreisverkehr in St. Leonhard sind passiert, nun ist alles angerichtet für das große Finale am 2509 m hohen Übergang zwischen Italien und Österreich, dem Timmelsjoch. Das Kühtai, der Brenner, der Jaufenpass und somit schlappe 175 km mit ca. 3700 hm liegen hinter uns. Fehlen ja eigentlich „nur“ noch 50km und davon gehen auch noch 25 km bergab. Eigentlich easy!
„Eigentlich“, denn leider warten auf den nächsten 25km noch gute 1800hm und damit der größte Brocken im ganzen Rennen, bedeutet für die Besten 1:35 pure Quälerei, die meisten werden das ganze jedoch eher 2 Stunden und länger „genießen“ dürfen…
Ist es dann allerdings geschafft und du überfährst die Zeitmatte am Timmelsjoch, so sind 5400 hm auf 200 km absolviert und es geht eigentlich nur mehr rasant bergab ins Ziel nach Sölden. „Eigentlich“, denn die Abfahrt bietet noch eine letzte kleine fiese Überraschung, die je nach körperlichem Zustand sehr sehr lang werden kann…
Was ist “Tapering” und warum ist es so wichtig
Aber erstmal zurück zu den schönen Dingen des Bergfahrens, dem Abfahren, denn auch in der Vorbereitung beginnt jetzt der wohl schönste Teil auf der „Road to Ötzi“: Die letzte Woche vor dem Rennen und damit das sogenannte Tapering.
Die Vorfreude und das Kribbeln steigen, all die Trainingsstunden und die Schinderei liegen hinter dir und jeder Versuch jetzt noch durch hartes Training an der Form zu basteln würde in einer Katastrophe am Renntag enden. Deshalb Beine hoch und Spätsommer genießen, denn das Einzige, was dich jetzt noch stärker werden lässt, ist Regeneration, physisch sowie psychisch. Wobei das nicht heißen soll, das Rad bis zum Wettkampftag in der Ecke verstauben zu lassen.
Vielmehr geht es in den letzten Tagen vor so einem Rennen darum, den Körper gezielt auf die anstehende Herausforderung vorzubereiten. Die Dauer bzw. der Umfang sollte deutlich reduziert werden und gleichzeitig werden einige wettkampfähnliche Belastungen im Bereich von 5-10‘ mit langen Pausen (+10‘) in die Trainingseinheiten eingebaut. Physiologisch gesehen bekommt der Körper durch diese verminderte Gesamtbelastung die Möglichkeit zu regenerieren und kann gleichzeitig alle für den Wettkampf benötigten Systeme „am Laufen halten“.
Richtige Ernährung beim Tapering: Carboloading
Ähnlich wie im Beitrag erwähnt, spielt auch in der Phase des Taperings die Ernährung in Form von Carboloading eine entscheidende Rolle, um vollständig regeneriert und mit gefüllten Speichern an der Startlinie stehen zu können.
In der Wissenschaft gibt es zu diesem Thema eine Vielzahl an Varianten. Drei davon sind jedoch die am häufigst untersuchten:
3 Varianten für eine maximale Füllung des Glykogenspeichers
Die Erste provoziert durch lange und intensive Einheiten ohne Verpflegung eine gezielte Entleerung der Glykogenspeicher im ersten Teil der Woche, um anschließend durch stark erhöhte Kohlenhydrataufnahme (8-12gr Kh/kg) eine Superkompensation und somit eine „Überfüllung“ der Glykogenspeicher zu erreichen.
Die Zweite ist durch eine konstante Kohlenhydrataufnahme von 7-8gr Kh/kg während der gesamten Woche gekennzeichnet, während die Dritte eine gleichmäßige Kohlenhydrataufnahme von 5-7gr Kh/kg im ersten Teil der Woche und eine gesteigerte Aufnahme ab den letzten zwei Tagen vor dem Wettkampf (Tag 1: 8-10gr Kh und Tag 2: 10-12gr Kh) vorschlägt.
Die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass der gewünschte Effekt einer maximalen Füllung der Glykogenspeicher vor allem durch die erste und die letzte Variante optimal provoziert wird. Allerdings hat die erste Variante zwei Nachteile: Zum einen größere Ermüdung durch fordernde Einheiten ohne Verpflegung zu Beginn der Woche und zum anderen einen erhöhten organisatorischen Aufwand über die gesamte Woche hinweg.
Persönlich und auch für meine Athleten bevorzuge ich diese Variante des Carboloadings, weil hier der Fokus vor allem auf den letzten zwei Tagen mit 8-10gr Kh und 10-12gr Kh vor dem Wettkampf liegt und daher mit weniger Aufwand verbunden ist.
Zu Bedenken ist allerdings, dass gerade für Wettkämpfe wie den Ötztaler, in dem jedes Kilo zählt, jedes Gramm Glykogen bis zu vier Gramm Wasser binden und so einiges an Zusatzballast entstehen kann. Es gibt jedoch Möglichkeiten diese Wassereinlagerung und die damit verbundene Gewichtszunahme etwas einzudämmen, diese können je nach körperlicher Konstitution allerdings unterschiedlich ausgeprägt sein und es braucht viel Fingerspitzengefühl, Erfahrung und eine gründliche Analyse um diese erfolgreich herauszuarbeiten.
Gegenanstieg zur Mautstation – die letzte kleine fiese Hürde
Jetzt heißt es jedes noch so kleine Fünkchen an Kraft und Motivation aus dem schon völlig entkräfteten Körper herauspressen. Irgendwie bis zur Kuppe retten, um dann wirklich nur mehr bergab, das Ziel in Sölden zu erreichen.
Ortsschild Sölden – steile langgezogene Linkskurve – der letzte Kilometer – mit Highspeed auf der menschengesäumten Hauptstraße durch Sölden – 90° scharf rechts und da ist sie,
die während der letzten schmerzhaften Stunden so herbeigesehnte Ziellinie eines der wohl faszinierendsten Radrennen im Alpenraum: dem Ötztaler Radmarathon.
Egal ob in sieben oder in zwölf Stunden: Jeder, der dieses Rennen und die Vorbereitung darauf erfolgreich finished, ist mit sich und seinem Körper an, und wahrscheinlich auch etwas über seine persönlichen Grenzen gegangen und kann stolz auf sich sein.
Doch all die Schmerzen und die Quälerei sind bei den meisten scheinbar spätestens nach 5 Monaten schon vergessen, wenn es im Februar wieder heißt, einen Platz in der Schlacht um einen der heißbegehrten Startplätze für dieses außergewöhnliche Event zu ergattern…
Aber jetzt heißt es erstmal auf trockenes Wetter, warme Temperaturen und gute Beine für Sonntag hoffen und dann gesund durchkommen!
Man sieht sich in Sölden….